Auf Einladung von Naturfreunde, Kirchlicher Dienst in der Arbeitswelt (kda), DFG-VK und Friedensbündnis Mannheim in Kooperation mit sanctclara Mannheim referierte Clemens Ronnefeldt, seit 1992 Referent für Friedensfragen beim deutschen Zweig des Internationalen Versöhnungsbundes, im vollbesetzten Saal des Ökumenischen Bildungszentrum Sanctclara.
Ronnefeldt begann mit seinen persönlichen Bezügen zum Thema des Abends: Sein Vater wurde 1942 als Siebzehnjähriger von den Nazis abgeholt und in den Ukraine-Krieg der deutschen Wehrmacht geschickt. Seit 2004 ist er in Kontakt mit einer ukrainischen Kollegin, die in Deutschland ein Jahr seine Kollegin beim Versöhnungsbund war und nach ihrem Germanistik-Studium Lehrerin in der Ukraine wurde.
Ronnefeldt erläuterte die Grundzüge des 10-Punkte-Plans von Istanbul von Ende März 2022 – nur einen Monat nach dem russischen Überfall: Die Ukraine akzeptiert ihre politische Neutralität. Im Gegenzug erhält sie eine völkerrechtliche Garantie zur Umsetzung des blockfreien und atomwaffenfreien Status.
Die Ukraine verpflichtet sich dazu, keinem Militärbündnis beizutreten, keine ausländischen Militärstützpunkte oder – kontingente zu stationieren und internationale Militärübungen nur mit Zustimmung der Garantiestaaten durchzuführen.
Offene Fragen im Zusammenhang mit der Krim und Sewastopol sollten innerhalb von 15 Jahren durch bilaterale Verhandlungen zwischen der Ukraine und Russland gelöst werden. Modalitäten für einen Waffenstillstand, den Rückzug der Truppen, humanitäre Korridore und den Austausch der Leichen sowie die Freilassung von Kriegsgefangenen wurden ebenfalls vereinbart.
Ein persönliches Treffen des ukrainischen und russischen Präsidenten, um einen entsprechenden Vertrag zu unterzeichnen und politische Entscheidungen über die noch offenen Fragen zu treffen, war als Punkt 10 vorgesehen.
Nach den russischen Gräueltaten von Butscha habe sich die Bereitschaft auf westlicher Seite zu einem Waffenstillstand verhärtet, auf russischer Seite nach der Versenkung der „Moskwa“, einem Schiff der russischen Schwarzmeerflotte.
Der damalige britische Premier Boris Johnson habe Anfang April 2022 bei seinem Besuch in Kiew geraten, es solle keine Einigung mit Russland geben, solange die Ukraine nicht die Oberhand habe und dass die Ukraine gegenüber Russland keine Zugeständnisse machen solle, so Ronnefeldt, der dies mit Quellen belegte.
Am 24.2.2023 habe die chinesische Regierung ihren Zwölf-Punkte-Plan für einen Waffenstillstand in der Ukraine vorgelegt.
„Im Unterschied zum italienischen 4-Stufen-Friedensplan vom Mai 2022, der das Ergebnis von Verhandlungen bereits im Vorhinein festlegen wollte, blieb der chinesische Vorschlag offenbar bewusst im Detail offen, um die Konfliktparteien erst einmal an den Verhandlungstisch zu bringen und selbst Lösungen erarbeiten zu lassen“, so Ronnefeldt.
Die Länder des Südens hätten einen sehr viel größeren Leidensdruck seit dem 24. Februar 2022 als die Länder des Nordens – aufgrund der drastisch gestiegen Energiepreise und sozialer Verwerfungen wegen der Erhöhung von Nahrungsmittelpreisen. Daher engagierten sich die Länder Mexiko, Brasilien, Südafrika, Indonesien und die Türkei besonders stark bei der Suche nach einer diplomatischen Lösung. Der Botschafter des Vatikan, Kardinal Zuppi, habe bereits mehrere Gefangenenaustausche vermittelt.
Ronnefeldt nannte China als einflussreichsten Akteur, der Druck auf Präsident Putin ausüben könne, seine Maximalforderungen fallen zu lassen und Verhandlungen zu beginnen.
„Wegen der enormen Waffenlieferungen aus den USA werde die Entscheidung in Kiew, ob die ukrainische Regierung zu Verhandlungen mit Moskau bereit ist, auch in Washington fallen“, so die These des Referenten – wobei der US-Wahlkampf eine wichtige Rolle bei der weiteren Unterstützung der Ukraine spielen werde.
Nach der Ukraine-Konferenz in der Schweiz im Juni 2024, wo sich die Länder trafen, die die Ukraine unterstützen, sei aktuell eine zweite Konferenz im Gespräch, zu der auch Russland eingeladen werden soll. „Ort und Zeit sind noch offen“, berichtete Clemens Ronnefeldt. Er rechnet damit, dass wegen der Ungewissheit bezüglich des US-Wahlausgangs Anfang November 2024 alle Kriegsbeteiligten die Zeit bis zur US-Wahl nutzen werden, um zu einem Waffenstillstand zu gelangen.
Sicherheitsfragen und Identitätsfragen stünden im Mittelpunkt des Konfliktes stünde, doch es gehe laut Ronnefeldt auch um Bodenschätze in der Ukraine. Im Donbas lagerten die größten Lithiumvorkommen Europas. Riesige landwirtschaftliche Flächen in der Ukraine seien bereits von ausländischen Investoren aufgekauft. Rüstungslieferanten und Interessenten an einem Wiederaufbau, der einen Waffenstillstand voraussetzt, stünden teilweise in Konkurrenz zueinander.
Seit Kriegsbeginn unterstützt Ronnefeldt seine in der Ukraine lebende Kollegin Anna Turkulova bei der Durchführung von Trauma-Seminaren, die von zwei in Traumatherapie ausgebildeten Personen im Raum Lwiw durchgeführt werden.
Kriegsdienstverweigerer aus Russland und der Ukraine, die sich dem Ukraine-Krieg verweigerten und deswegen nach Deutschland geflohen seien, drohe in vielen Fällen die Abschiebung. Ronnefeldt forderte die Bundesregierung auf, diesen Zustand zu beenden und das internationale Recht auf Kriegsdienstverweigerung aus Gewissensgründen als Bleibegrund anzuerkennen.
Die Zuhörenden rief der Referent dazu auf, den in Mannheim lebenden Geflüchteten aus der Ukraine beim Erlernen der Sprache und bei der Suche nach Arbeit Unterstützung zu geben – und im respektvollen Dialog auch unterschiedliche Meinungen zum Ukraine-Krieg auszuhalten.
Er zitierte zum Ende der Veranstaltung das Vorwort des Grundgesetzes, das ein Friedensgebot enthält, den 2+4-Vertrag über die deutsche Einheit, der ebenfalls zum Frieden mahnt – und die UN-Charta, welche die zwischenstaatliche Androhung oder Anwendung von Gewalt untersagt.
Der Referent verwies darauf, dass sich die Welt aktuell im Umbruch hin zu einer multipolaren Welt befände – und das Austarieren der unterschiedlichen Interessen noch einige Zeit in Anspruch nähme.