Mit eindrucksvoller Fülle an Daten, Fakten und Zitaten zeigt Ronnefeldt zivile Alternativen
Rund 40 Personen kamen am 21. September – am Internationalen Tag des Friedens – ins Ökumenische Bildungszentrum sanctclara, um den Vortrag des Referenten für Friedensfragen beim Internationalen Versöhnungsbund, Clemens Ronnefeldt, zu hören. Organisiert wurde die Veranstaltung vom Friedensbündnis Mannheim und der DFG-VK MA-LU ergänzend zur Antikriegstags-Kundgebung in Mannheim, um aus dem Blick geratene und gedrängte Fakten in Erinnerung zu bringen.
Mithilfe einer Karte über das Wahlergebnis in verschiedenen Wahlkreisen zeigte Ronnefeldt wie polarisiert die Ukraine bei der Präsidentenwahl war. Der prowestliche Kandidat Juschtschenko hatte bei den Wahlen 2004 in den westlichen Regionen der Ukraine Stimmenanteile von mehr als 90 Prozent , während der nach Russland orientierte spätere Präsident Janukowitsch vor allem im Donbas und der Ostukraine ebenfalls mehr als 90 Prozent Stimmenanteile erzielen konnte.
Als sich Janukowitsch 2013 weigerte, dass Assoziierungsabkommen zwischen EU und Ukraine zu unterzeichnen, gab es massive Bevölkerungsproteste insbesondere in der westlichen Ukraine und in Kiew, die dort schließlich zu den wochenlangen Euromaidan-Protesten führten. Am 20. Februar 2014 wurden dort rund 100 Menschen durch Schüsse von Scharfschützen getötet. Auf wessen Konto das Blutbad geht, ist bis heute nicht aufgeklärt. Klar ist hingegen, dass die bewaffneten Auseinandersetzungen in der Ukraine zwischen der ukrainischen Regierung und den sogenannten Volksrepubliken Donezk und Luhansk mit vielen Todesopfern laut den Angaben der Beobachtermission der OSZE (Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa) von beiden Seiten zu verantworten sind.
Bezogen auf Putin ließ Ronnefeldt keinen Zweifel daran, dass er dessen Angriffskrieg gegen die Ukraine verurteilte. Er nannte zu Beginn wichtige politische Stationen des Kremlchefs. 1989 war Putin KGB-Geheimdienstoffizier in Dresden, wo er den Niedergang der DDR erlebte. Dieser endete unblutig im Gegensatz zu den Protesten in Peking, die die chinesische Regierung 1989 blutig niederschlug. Russland verlor sein Imperium, China behielt es durch den Einsatz von Gewalt.
Auf Putins Rede im Deutschen Bundestag 2001 (an der Horst Teltschik, ehemaliger Chef der Münchner Sicherheitskonferenz und Kanzlerberater, mitgeschrieben hatte) folgten die Jahre, in denen er – wie zuvor im Tschetschenienkrieg ab 1999 – mit der Krim-Anexion plus Unterstützung der ukrainischen Separatisten bis hin zum Syrienkrieg militärische Mittel immer intensiver einsetzte. Gleichzeitig schränkte er die Demokratie und kritische Stimmen durch Verbote und Repression immer mehr ein.
Zum Verhältnis von Nato und Russland wies Ronnefeldt auf die Nato-Russland-Grundakte von 1997 als ein wichtiges Abkommen hin. Dass der Westen in seinem Umgang mit Russland „russisches Roulette“ spiele – so auch ein Buchtitel von Horst Teltschik – und Grund habe, über eigene Fehler nachzudenken habe, wie Wolfgang Ischinger am 14. Februar 2022 es formulierte, erwähnte der Referent ebenfalls.
Die Stiftung Wissenschaft und Politik, SWP, ist eine Denkfabrik, deren Analysen für die Bundesregierung eine wichtige Rolle spielen. Am 11. Februar 2022 veröffentlichte der SWP-Mitarbeiter Wolfgang Richter einen Aufsatz, in dem er auf die Mitverantwortung des Westens für Eskalation bis hin zum Ukraine-Krieg eingeht. Exemplarisch seien erwähnt, der völkerrechtswidrige Kriegseinsatz der Nato im Kosovo-Jugoslawien-Krieg ohne UN-Mandat und dass die USA mit ihrer Militärpräsenz in Georgien 2002 gezielt eskalierten.
Gründe des Krieges 2022 sah Ronnefeldt bis in das Jahr 1990/1991 zurück: Damals hatte Michael Gorbatschow der deutschen Vereinigung nur unter der Bedingung zugestimmt, dass sich die Nato nicht weiter nach Osten ausdehnt, was ihm mündlich von den Vertretern der USA und der Bundesrepublik Deutschland zugesichert worden war.
Mit Bezug auf die Wolfowitz-Doktrin machte Ronnefeldt deutlich, dass zwischen den USA und Deutschland immer wieder Interessengegensätze deutlich werden und auch innerhalb der Nato selbst. Im Jahre 2008 wollte G.W. Bush die Ukraine unbedingt in die NATO aufnehmen, Frankreich und Deutschland – vertreten durch Angela Merkel – verhinderten ein Aufnahmedatum mit dem Hinweis, dass die Mehrheit der Menschen in der Ukraine eine NATO-Mitgliedschaft des Landes ablehnten und eine Aufnahme die Ukraine zerreißen würde.
Auch wenn der Krieg durch die Ausweitung der Kriegsziele durch die USA, die nicht mehr nur die Ukraine unterstützen, sondern Russland nachhaltig schwächen wollen und die Einberufung von 300.000 Reservisten in Russland derzeit in beängstigendem Maße eskaliert wird, gibt es auch Fakten die zivile Alternativen zeigen.
So zeige das Abkommen zwischen der Ukraine und Russland über Getreideexporte mit Schiffen aus Odessa und drei weiteren Häfen, dass Verhandlungen möglich und sinnvoll sind.
Aufschlussreich sind die Ergebnisse einer repräsentativen Meinungsumfrage des soziologischen Institutes der Universität in Kiew in der Ukraine aus dem Jahr 2015, bei der gefragt wurde, mit welchen Mitteln sich die Bürgerinnen und Bürger gegen eine drohende beziehungsweise eine erfolgte militärische Invasion wehren sollten. In beiden Fällen sprachen sich mehr Befragte für zivilen Widerstand aus als für bewaffneten Widerstand. Die Umfrage fand nach der Annexion der Krim und den Kämpfen im Donbas aus und war eine Überraschung. Unter den jetzigen Bedingungen des Krieges könne sie nicht wiederholt werden, so Ronnefeldt.
In Russland engagierten sich die Soldatenmütter gegen den Krieg und unlängst wagte es ein Bezirksbeirat in Sankt Petersburg, sich für eine Anklage gegen Präsident Putin wegen des Krieges auszusprechen. Bislang politisch unauffällige prominente Personen aus der russischen Kulturszene haben sich gerade offen gegen den Krieg ausgesprochen wie etwa Pop-Star Olga Pugatschowa.
Auch in der Ukraine gibt es Stimmen gegen den Krieg wie etwa die Ukrainische Pazifistische Union, die sich für Verhandlungen und gegen Militäreinsätze ausspricht.
Zur Frage, wer im Ukraine-Krieg vermitteln könnte, wies Ronnefeldt auf den von der italienischen Regierung im Mai 2022 vorgelegten Friedensplan hin. Mehr schwere Waffen aus Deutschland in die Ukraine zu schicken (zusätzlich zu dem von den USA gelieferten Militärmaterial im Wert von 53 Milliarden US-Dollar) wird nicht nur von der Friedensbewegung sondern auch vom Generalinspekteur der Bundeswehr Eberhard Zorn abgelehnt aufgrund der damit verbundenen Eskalationsgefahr.
Derartige Skrupel hat die Vorsitzende des Verteidigungsausschusses, Marie-Agnes Strack-Zimmermann, FDP, nicht. Schon vor dem Ukraine-Krieg hat sie sich vehement für höhere Rüstungsausgaben und den Bau von gigantischen Waffensystemen ausgesprochen. Sie ist Mitglied der Deutschen Wehrtechnischen Gesellschaft, die sich für die Interesse der Rüstungsfirmen einsetzt.
Ronnefeldt widmete sich auch der Frage, was man für ein Ende des Blutvergießens tun kann. Sich immer wieder für einen Waffenstillstand und Verhandlungslösungen auszusprechen, nannte er ebenso wie auch die Teilnahme am dezentralen Aktionstag am 1. Oktober mit dem Motto „Verhandeln statt schießen“. Wichtig ist es ihm, die Aktionen von Menschen in Russland, Belarus und Ukraine gegen den Krieg und für Verhandlungen bekannt zu machen.
Wichtig sei außerdem, dass die EU und die Bundesregierung Kriegsdienstverweigerer und Menschen, die sich der Einberufung entziehen, unterstützen und Asyl gewähren müsse.
Zum Schluss nannte Ronnefeldt Beispiele, wie Krieg und dessen Vorbereitung – wie etwa Manöver – Umwelt und das Klima belasten. Allen schon ein Leopard-Panzer verbrauche so viel Diesel wie rund Hundert PKWs. Um die USA bei ihren demonstrativen Militäraufmärschen gegen die chinesischen militärischen Machtdemonstrationen zu unterstützen, entsandte die Bundeswehr sechs Eurofighter nach Singapur. Dazu mussten die Maschinen zehnmal in der Luft nachgetankt werden.
Als Fazit der Veranstaltung kann festgehalten werden, dass die Kompetenz von Clemens Ronnefeldt, der 2017 mit dem Peter-Becker Preis der Universität Marburg für Friedens- und Konfliktforschung sowie 2022 mit dem Bremer Friedenspreis als „Friedensbotschafter“ ausgezeichnet wurde, dazu beigetragen hat, sich gegen die von der Ampelregierung und der CDU vorangetriebenen militärischen Sicherheitspolitik zu engagieren – und stattdessen Friedenslogik und zivile Alternativen ins Zentrum von Friedenshandeln zu rücken.
Verfasser: Otto Reger, DFG-VK-Gruppe MA-LU
Vorträge von Clemens Ronnfeldt auf youtube
Ähnliche Vorträge hat Ronnefeldt auch an anderen Orten gehalten. Eine kürzere Fassung (1:05 Stunden) vom 2. Mai 2022 gibt es hier:
https://www.youtube.com/watch?v=o8p69_ed37U&ab_channel=Vers%C3%B6hnungsbund
Eine ausführliche Version (1:43) vom 9. Mai 2022 ist hier
https://www.youtube.com/watch?v=2NeIWgEGCo0&ab_channel=Vers%C3%B6hnungsbund
mit allen Folien, Quellenangaben etc.